Schulbau

Kinder warten sehnsüchtig auf die neue Schule

Aus lauter Not zusammengeflickt: Auf diesen Verschlag müssen Lehrer und Schüler ausweichen. Foto: Kläne

Bis zu anderthalb Stunden laufen Mädchen und Jungen morgenszumUnterricht nach Kelecha Jibat – und nachmittags zurück nach Hause

Von Volker Kläne

Kelecha Jibat. Das ganze Dorf scheint auf den Beinen zu sein. Als die Geländewagen von „Menschen für Menschen“ vom staubigen Marktplatz rechts in den Weg zur Schule abbiegen, folgen ihnen Hunderte von Bewohnern und aufgeregte Kinder. Am Tor zur Schule versammelt sich eine Menschenmenge. Alle beobachten die MfM-Mitarbeiter um den stellvertretenden Projektmanager Tesfalidet Kidan und die Dolmetscherin Aster Tefera. Dass es nicht allein Neugier ist, was sie antreibt, wird in den nächsten Stunden deutlich. Das Wichtigste an diesem Tag ist für sie die Zukunft ihrer Schule. Dafür lassen sie alles andere stehen und liegen.

Seit 1981 gibt es in Kelecha Jibat, was übersetzt „Auf demWeg in den Wald“ bedeutet, die Higher Primary School. 1502 Schüler in den Klassen 1 bis 8 werden hier zurzeit unterrichtet – 830 Jungen, 672 Mädchen. Warum sich MfM für einen kompletten Neubau, der von „Sportler gegen Hunger“ finanziert wird, entschieden hat, wird bei einem Rundgang über das Gelände deutlich. Rechts sind die Reste eines Schutthaufens zu sehen. Dort haben einmal Gebäude gestanden, welche die Einheimischen aber abreißen mussten. Warum, das wird auf der linken Seite deutlich. Zwei zerfallene Häuser stehen dort. Termiten haben Löcher in die Wände gefressen. Man muss Angst haben, dass sie zusammenbrechen.

Aber innen werden Schüler unterrichtet. Denn es mangelt an Klassenräumen, nur sieben sind vorhanden. Auch wenn die Schüler in Vormittags- und Nachmittagsschichten kommen, ist es viel zu eng. Lehrer versammeln ihre Klasse zeitweise unter einem Baum. Notdürftig wurde ein Verschlag ausHolz und Wellblechplatten errichtet. Dieser platzt aus allen Nähten. Darin sitzen gut 150 Mädchen und Jungen eng an eng auf Bänken an den Tischen. In der Mittagshitze folgen sie aufmerksam und still dem Mathe-Unterricht.

Auch an den neueren Gebäuden sind bereits Termitenschäden zu erkennen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch sie nicht mehr standhalten. Die Klassenräume sind überfüllt und dunkel. Die Wände weisen bereits Löcher auf, überall gibt es nur Sandböden.

Die Kinder versuchen, ihre Füße mit leichten, teils kaputten Schuhen vor Sandflöhen zu schützen. Sie laufen Gefahr, dass die winzigen Tiere ihre Eier unter der Haut ablegen. Der Bereich kann sich entzünden, an den Zehen und Füßen entstehen dann Beulen. Es brennt und juckt. Nur unter Schmerzen können die Eier entfernt werden.

In der Schule lauern Krankheiten. Denn es mangelt an Hygiene, der Grund für 70 Prozent der Krankheiten in Äthiopien. Es gibt kein Wasser zum Waschen und Trinken. Um welches zu holen, müssten sie bis zu 30 Minuten zu einem Fluss laufen, berichten Schülerinnen und Lehrer. 1502 Mädchen und Jungen teilen sich zwei Latrinen. Dabei handelt es sich jeweils um ein kleines Loch in einer Bodenplatte.

Ein Beweis für den Willen der Einwohner, ihre Schule instand halten zu wollen, findet man am Rande des Geländes. Das Holzgerüst für einen Trakt mit neuen Klassenräumen steht dort. Letztlich wird diesem aber das gleiche Schicksal drohen wie allen anderen Gebäuden. „Es ist eine wahnsinnige Eigenleistung, die sie erbracht haben“, sagt Ulrike Haupt, PR-Managerin von „Menschen für Menschen“, bei dem Besuch.

Auch die Schüler sind bewundernswert. Jeweils bis zu anderthalb Stunden laufen sie morgens zur Schule und nachmittags nach Hause. Sie klemmen sich ihre Hefte unter den Arm und gehen los. Dass sich die Anstrengung negativ auswirkt, hat Ulrike Haupt erfahren. Sie berichtet von einem Besuch, bei dem sie darauf bestanden habe, nicht mit den besten und fleißigsten, sondern den schlechtesten Schülern zu sprechen. Dabei habe sich herausgestellt, dass die Schüler schlicht völlig erschöpft vom Schulweg im Unterricht saßen, weil diese den weitesten Fußmarsch hinter sich hatten.

Aber egal wen man fragt, alle Kinder sind froh, zur Schule gehen zu können. Sie müssen in der Zeit nicht zu Hause bei der Feld- oder Hausarbeit helfen. Viele Eltern schicken ihre Kinder nicht zur Schule, weil sie sie zu Hause brauchen. So kommt es, dass wir einen 18-jährigen Jungen treffen, der erst die vierte Klasse besucht. Mädchen werden davor bewahrt, früh verheiratet zu werden. Sie lernen, dass sie das keineswegs dulden müssen. Ohnehin ist Aufklärung ein wichtiger Punkt in den Schulen. Kinder lernen früh, sich vor Krankheiten zu schützen und ihre Lebensumstände zu verbessern – und ihre Eltern gleich mit.

Deshalb legt MfM auch so viel Wert auf Bildung. Im Jahr 2013 verwendeten sie 69 Prozent ihrer Ausgaben für diesen Bereich. In Kelecha Jibat wollen sie ihr bewährtes Baukonzept anwenden (siehe Fakten). Vier Gebäude mit je vier Klassenräumen will die Stiftung bauen. Diese haben Fundamente und Zementböden und ein massives Wellblechdach. Eine Substanz für die nächsten 50 Jahre, wieMfM-Vorstand Peter Renner erklärt. Hinzu kommen zwei Latrinen-Einheiten mit jeweils vier Kabinen.

Die Gesamtkosten belaufen sich auf 246.619 Euro. 2016 soll alles fertig sein. Mit Hilfe der „Sportler gegen Hunger“ aus dem Kreis Vechta will MfM es ermöglichen. Die Menschen in Kelecha Jibat warten sehnsüchtig darauf.

FAKTEN
„Menschen für Menschen“ baut überall in den Projektgebieten Schulen nach dem selben Muster:
– Die Stiftung ermittelt gemeinsam mit der örtlichen Schulbehörde in einer Projektregion den Bedarf.
– Die Stiftung beauftragt lokale Bauunternehmen. Das Projekt wird zuvor ausgeschrieben und dann der Auftrag erteilt. Bei der Auswahl der Firma achtet MfM nicht nur auf das günstigste Angebot, sondern auch darauf, dass Qualität gewährleistet wird.
– MfM trägt die Kosten des Baus und der Einrichtung.
– Sie übergibt die Schule an die lokalen Behörden.
– Das äthiopische Bildungsministerium stellt die Lehrer und trägt die laufenden Kosten.
– Mitarbeiter von MfM kontrollieren regelmäßig den Zustand der Schule.
– Die Übergabe der Verantwortung in die Hände regionaler Träger erfolgt nach dem Grundprinzip Hilfe zur Selbstentwicklung. Karlheinz Böhm ging es immer darum, die Bevölkerung eng in die Projekte einzubinden, damit sie nicht dauerhaft von einer Hilfsorganisation abhängig bleibt.