Schulbau

Schule lässt Mädchen von besserem Leben träumen

Ihre Zukunft hängt von Bildung ab: Gente Tulu (rechts) und zwei ihrer Mitschülerinnen tragen gerne die blaue Schuluniform. Foto: Kläne

16-jährige Gente will Anwältin werden / Sie besucht den Unterricht in Kelecha Jibat, wo „Sportler gegen Hunger“ den Neubau finanziert

Von Volker Kläne

Kelecha Jibat. Gente Tulu verrät ein Geheimnis. Ihr sei schon ein Antrag gemacht worden, sagt sie. Aber die 16-jährige Schülerin hat andere Pläne: „Ich möchte erst heiraten, nachdem ich meine Ausbildung fertig habe.“ Und das hat Zeit. Gente besucht erst die 7. Klasse an der Higher Primary School von Kelecha Jibat in Äthiopien, und sie will noch einige Jahre lernen.

Das Mädchen geht gerne zur Schule, auch wenn die Umstände katastrophal sind. Die Räume sind dunkel und überfüllt. Es gibt zu wenige Klassenzimmer, zeitweise unterrichten die Lehrer unter freiem Himmel oder in einem Verschlag aus Holz und Wellblechplatten. Es gibt kein Wasser und nur zwei verkümmerte Latrinen. Krankheiten lauern. Die OV/KSB-Aktion „Sportler gegen Hunger“ will die Bedingungen stark verbessern. Sie wird Gentes Schule über die Äthiopienhilfe „Menschen für Menschen“ (MfM) komplett neu bauen (siehe Fakten).

Es gibt zurzeit 672 Mädchen an der Schule. Das ist eine gute Entwicklung. Allerdings lässt sich angesichts der klaren Überzahl an Jungen (802) erahnen, dass längst nicht alle Eltern einen Sinn darin sehen, ihre Töchter zur Schule schicken. Die Frauen werden in der von Männern dominierten äthiopischen Gesellschaft auf vielfältige Weise benachteiligt. Ihre traditionelle Rolle besteht oftmals nur darin, den Haushalt zu führen, Wasser von kilometerweit entfernten Brunnen zu holen, bei der harten Feldarbeit zu helfen und viele Kinder zu bekommen. Sie werden früh ungefragt verheiratet und bringen bereits im Teenager-Alter Kinder zur Welt.

Bei einem Besuch in der Projektregion Dano, in der auch die Schule von Kelecha Jibat liegt, berichtete eine fünffache Mutter, etwa 30 Jahre alt, sie habe mit 14 heiraten müssen. Ihren Mann habe sie nicht gekannt, er sei ausgesucht worden. Sie sei immer wieder nach Hause gerannt, sagte die Frau. Aber ihre Eltern hätten sie jedes Mal zurückgeschickt. Irgendwann habe sie es akzeptiert und mit 18 ihr erstes Kind bekommen. Ihre Töchter sollten aber selbst entscheiden können, stellte die Frau, die von MfM gefördert wird, klar. Vor allem würden die Töchter – anders als sie selbst – zur Schule gehen.

Es ist ein Hauptanliegen von „Menschen für Menschen“, die Stellung der Frauen in der Gesellschaft zu stärken, um die Armut zu bekämpfen. Nirgendwo geht das so effektiv und frühzeitig wie an einer Schule. „Wir lernen so viel“, sagt Gente. Damit meint sie nicht nur Mathe, Englisch und Geografie, sondern auch lebenspraktische Dinge wie, auf die Hygiene zu achten. 70 Prozent der Krankheiten in Äthiopien sind laut MfM auf Hygienemängel zurückzuführen. Die Mädchen werden laut MfM durch den Schulbesuch davor bewahrt, früh verheiratet zu werden. Sie lernen, dass sie es keineswegs dulden müssen, und erhalten Unterstützung von ihren Lehrern. Aufklärung ist auch ein wichtiger Punkt. Kindern wird beigebracht, wie sie sich vor Krankheiten schützen können.

Gente nimmt dafür jeden Tag einen langen Fußmarsch in Kauf. Von ihrem Dorf Bedeso Thaie bis zur Schule in Kelecha Jibat benötige sie anderthalb Stunden, sagt sie. Sie sei danach nicht müde und als Last empfinde sie den langen Weg auch nicht. Vielmehr freut sie sich auf den Unterricht. „Ich mag Englisch, weil ich es verstehen kann“, sagt sie. „Ich möchte mit Leuten sprechen, die Englisch können.“

Aber Gente sieht auch Missstände an ihrer Schule. Diese sei nicht komfortabel, sagt sie. In den überfüllten Räume werde es oft sehr heiß. Der Boden sei staubig und der Dreck setze sich in den Augen ab. Es gebe kein Wasser in der Schule, bis zum Fluss benötige sie etwa 30 Minuten, berichtet Gente.

Im monatlichen Wechsel hat sie Vormittags- und Nachmittagsunterricht. Wenn sie nachmittags zur Schule gehe, sagt die 16-Jährige, könne sie morgens noch ihren Eltern helfen, zum Beispiel bei der Hausarbeit. Nach der Schule mache sie noch zwei Stunden lang ihre Hausaufgaben. Dazu brauche sie das Licht einer Kerosin-Lampe, weil es dann schon dunkel sei.

Ihre Mutter habe nur bis zur sechsten Klasse in die Schule gehen dürfen, berichtet Gente. Die Mütter vieler Schülerinnen sind nie unterrichtet worden. Gente plant, ihren Abschluss nach der zwölften Klasse zu machen. Sie träumt von einem besseren Leben, möchte Rechtsanwältin werden und für Frauenrechte kämpfen.Wenn das nicht klappt, will sie einen Gemischtwarenladen eröffnen, sagt sie. Auch was ihren Mann betrifft, hat sie gewisse Vorstellungen. Er müsse einen Job haben, betont Gente. Aber er müsse jetzt erst einmal zehn Jahre warten.

FAKTEN
– Die OV/KSB-Aktion „Sportler gegen Hunger“ baut über die Stiftung „Menschen für Menschen“ von Karlheinz Böhm erstmals eine eigene Schule in Äthiopien: Aus den SgH-Erlösen dieses und des nächsten Winters fließen Spenden zweckgebunden in den Neubau dieser Schule.
– Der gesamte Komplex für 1500 Schüler wird mit Kosten von 246.000 Euro veranschlagt; der Bau der SgH-Schule beginnt Mitte nächsten Jahres und soll 2016 fertig sein.
– Die Schule befindet sich in Kelecha Jibat. Das Dorf liegt 235 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Addis Abeba im Projektgebiet Dano.
– Das Gebiet ist 659 Quadratkilometer groß und befindet sich auf einem Hochplateau mit einigen Hügeln.
– 105.430 Einwohner leben überwiegend von Ackerbau und Viehzucht, was zum Überleben kaum ausreicht.

Bild: Ihre Zukunft hängt von Bildung ab: Gente Tulu (rechts) und zwei ihrer Mitschülerinnen tragen gerne die blaue Schuluniform. Foto: Kläne