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Ein kleines Wunder fĂĽr nur 30 Euro

„Menschen für Menschen“ organisiert Augenoperationen für die ländliche Bevölkerung

Von Carsten Boning

München. Die grenzenlose Freude ist nicht zu übersehen, nicht zu überhören. Die Anspannung bei Abiye Ganfur hat sich gelegt, der 85-Jährige sitzt auf einer Bank vor dem Gesundheitszen-trum im Projektgebiet Borena im äthiopischen Hochland. Die Ungewissheit ist verflogen, seitdem der Verband von seinem frisch operierten rechten Auge entfernt wurde. Abiye Ganfur strahlt vor Glück. Ein bewegender Moment für ihn und alle Menschen um ihn herum. „Ich kann sehen! Freut euch mit mir!“, frohlockt er im Video der Karlheinz-Böhm-Stiftung „Menschen für Menschen“. Neben ihm sitzt Lakew Ganfur, sein sieben Jahre jüngerer Bruder. Auch er ist in Borena operiert worden und kann wieder sehen. „Wir sind sehr froh“, sagt er nach dem erfolgreichen Fingertest. Applaus für das medizinische Personal.

Die Ganfur-Brüder stehen stellvertretend für hunderttausende Äthiopier, die an der Augenkrankheit Katarakt leiden, besser bekannt als Grauer Star. Auch bei Abiye und Lakew Ganfur war der Nebel-Schleier über die Jahre immer dichter geworden – bis zur Erblindung. „Ich habe mir viele Gedanken gemacht, warum mein Bruder und ich blind sind“, erzählt Abiye vor der Operation: „Die Menschen in Borena glauben, dass es ein Fluch ist. Ich glaube es auch.“

Seine Zweifel vor der Anreise waren groß. Aber er sei mit der Hoffnung gekommen, „dass sie mir helfen können“. Sie – das sind die Augenärzte aus Addis Abeba, die in den Gesundheitszentren von „Menschen für Menschen“ regelmäßig Operationen am Grauen Star anbieten. Dr. Fehadu Kassahun ist einer von ihnen. „Ich bin aus Addis Abeba gekommen, um in Zusammenarbeit mit Menschen für Menschen Operationen am Grauen Star durchzuführen“, sagt der Mediziner. Er spricht von einer „heilbaren Erkrankung“. Bei den Patienten wird die eingetrübte Linse durch eine künstliche ersetzt. „Dann ist das Auge wieder funktionsfähig“, so Dr. Kassahun. Es ist eine Routine-OP, die nur 30 Euro kostet und nur 20 Minuten dauert. „20 Minuten, die das Leben der Patienten grundlegend verändern“, so MfM.

Aber: Vor allem im ländlichen Äthiopien fehlt es massiv an Augenärzten. Dr. Kassahun klärt auf: „80 Prozent der Augenärzte arbeiten in Addis Abeba.“ Das sei auch der Grund dafür, „warum die Behandlung des Grauen Stars und anderer Augenkrankheiten für viele Menschen in den ländlichen Regionen unerreichbar ist.“ MfM versucht, Abhilfe zu schaffen und organisiert große OP-Termine (bislang 69 000 Operationen an verschiedenen Augenkrankheiten). Es gibt aber, so Dr. Kassahin, nur 120 Augenärzte für über 100 Millionen Äthiopier. Er spricht von einem „großen Mangel“ und sagt: „Dagegen müssen wir etwas unternehmen.“ Zudem glaube ein Großteil der Bevölkerung nicht, dass das Augenlicht durch die Operation zurückkommt.

Abiye Ganfur gehörte auch zu dieser Gruppe der Zweifler. Das war einmal. Er sagt: „Ich dachte immer, dass nur Gott uns das Augenlicht zurückgeben kann, aber der Mensch kann es auch.“ Sprach es – und strahlte mit seinem Bruder um die Wette.

Bild: Untersuchung vor der Operation: Abiye Ganfur im Gesundheitszentrum im MfM-Projektgebiet Borena. Foto: MfM / Rainer Kwiotek