Schulbau Start

Der glücklichste Tag für die Menschen in Kelecha Jibat

Tausende feiern die Einweihung der neuen Higher Primary School / Überwältigender Empfang für die Besucher aus dem Kreis Vechta

Von Volker Kläne

Kelecha Jibat. Einen Tag wie diesen hat noch niemand in Kelecha Jibat erlebt. Tausende Menschen warten gespannt am Eingang ihres Dorfes, als sich die Geländewagen der Karlheinz-Böhm-Stiftung „Menschen für Menschen“ den holprigen Feldweg hochkämpfen. Eine Reiterkolonne empfängt die Gäste, begleitet sie in Richtung des Marktplatzes. Einige Motorradfahrer schließen sich an. Tausende Schüler, Lehrer und Bewohner des Ortes bilden ein Spalier. Sie rufen laut „Welcome, welcome!“ und klatschen dazu rhythmisch in die Hände. Die deutschen Gäste in den Geländewagen sind überrascht und überwältigt. Sie kurbeln die Fensterscheiben herunter und winken den Einheimischen zu. Tausende Mädchen und Jungen rennen den Autos hinterher. Sie lachen, singen und rufen. Eine Gruppe junger Männer führt singend einen traditionellen Tanz auf. Das ganze Dorf ist auf den Beinen, um diesen historischen Tag zu feiern. Der Tag, an dem die neue Schule von Kelecha Jibat eingeweiht wird.

Es ist auch ein historischer Tag für „Sportler gegen Hunger“. Die Higher Primary School von Kelecha Jibat ist die erste Schule in Äthiopien, die zu 100 Prozent durch Spendenerlöse der OV/ KSB-Aktion finanziert worden ist. Die Stiftung „Menschen für Menschen“ (MfM), die seit 1984 von SgH unterstützt wird, hat in dem 5000-Einwohner-Dorf vier Gebäude mit jeweils vier Klassenräumen bauen lassen. Die 1332 aktuellen Schüler (759 Jungen, 573 Mädchen) und die nächsten Generationen können dort unter enorm verbesserten Bedingungen unterrichtet werden und sich eine bessere Zukunft aufbauen. Der Bau wurde durch Erlöse aus den SgH-Wintern 2014/15 und 2015/16 finanziert, die veranschlagte Summe lag bei 245.000 Euro; dazu kommen die Kosten für die Inneneinrichtung.

Mit dem früheren OV-Redakteur Volker Kläne, Bernd Arkenstette, Willi Hoping (beide SC Bakum), Rolf „Fala“ Farwick und David Kleier (beide BW Langförden) reiste eine fünfköpfige SgH-Gruppe aus dem Kreis Vechta auf eigene Kosten nach Kelecha Jibat, um die Einweihung mitzufeiern. Ihnen bieten sich Bilder, die sie mit keiner Feier, die sie je erlebt haben, vergleichen können. Nach dem überwältigenden Empfang am Dorfeingang gehen tausende Einheimische mit den Vertretern von „Menschen für Menschen“ und „Sportler gegen Hunger“ gemeinsam wie in einer Prozession die letzten Meter zum Schulgelände. Am Eingang zum Schulgelände wird symbolisch ein Band zerschnitten. Wenig später schraubt jemand ein Schild mit den Logos von MfM und SgH an die Außenwand eines Klassenraums. „Finanziert von Sportler gegen Hunger“, steht darauf.

Unzählige Kinder begleiten die SgH-Gruppe bei einer ersten kurzen Besichtigung der neuen Schule, während auf dem Pausenhof unter einem provisorisch errichteten Dach aus Holzstützen und Wellblech hunderte Einwohner von Kelecha Jibat auf den offiziellen Teil der Zeremonie warten. Für alle ist die Inbetriebnahme der Schule, die jetzt auch eine gut ausgestattete Bibliothek und einen neuen Verwaltungsbereich umfasst, ein Meilenstein. Sie ist ein gewaltiger Sprung in eine neue Zeitrechnung. Das ist all den Menschen bewusst. Deshalb haben sie alles stehen und liegen gelassen. Sie arbeiten nicht wie gewöhnlich auf dem Feld oder treiben ihre Herden aus Rindern, Ziegen und Eseln zur nächsten Futterstelle oder zur Tränke. Sie haben sogar den wichtigen Markttag unterbrochen, an dem sie sich ein zusätzliches Einkommen verschaffen, indem sie dort eigene Produkte verkaufen. Denn an diesem Tag zählt für alle einzig und allein die neue SgH-Schule.

Die Verantwortlichen der Higher Primary School haben eine emotionale Zeremonie geplant, unter den Gästen sind der Bürgermeister von Kelecha Jibat, der Administrator der Region und der höchste Vertreter von „Menschen für Menschen“ in Äthiopien, Vorstand Berhanu Negussie. Sie danken in ihren Ansprachen „Sportler gegen Hunger“. Sie wissen, dass hinter diesem Projekt viele Menschen aus dem Kreis Vechta stehen, die mit Vereinsturnieren, Volksläufen, Wanderungen und vielen weiteren Aktionen den Bau ihrer Schule ermöglicht haben.

„Danke für die Unterstützung. Die neue Schule ist ein großes Geschenk für die Menschen in diesem Distrikt, vor allem für die Menschen in Kelecha Jibat“, sagt Berhanu Negussie, einst erster Fahrer und dann ewiger Weggefährte von Karlheinz Böhm. Der legendäre Stiftungsgründer starb 2014, aber sein Geist schwebt in diesem Moment gewissermaßen über dem Areal in der MfM-Projektregion Dano, rund 200 Kilometer westlich der Hauptstadt Addis Abeba. Zu Lebzeiten war es stets eines seiner Hauptanliegen, den Menschen in den abgelegenen Teilen des Landes die Chance auf Bildung zu ermöglichen. „Nur wer lesen und schreiben kann, kann sich aus eigener Kraft aus der Armut befreien“, hat Karlheinz Böhm immer wieder gepredigt. Die Schuleröffnung ist ein weiterer Schritt im Kampf gegen Armut und Perspektivlosigkeit.

430 Schulen hat Böhms Stiftung in Äthiopien seit 1981 bereits bauen lassen. Aber diese Schule ist etwas ganz Besonderes. Die Menschen von Kelecha Jibat haben ihre alte Schule auch 1981 gegründet. 36 Jahre lang haben sie sie mühevoll am Leben gehalten, lange bevor MfM kam, allerdings mit dürftigen Mitteln. Die engen, dunklen und stickigen Schulgebäude aus Lehm und Holz boten alles andere als optimale Bedingungen zum Lernen. Sie zerfielen nach und nach, weil Termiten sie beschädigten. Eine hohe Improvisationskunst war gefragt. Die Sandböden wurden im Idealfall mit einer sich verhärtenden Mischung aus Kuhdung, Matsch und Asche überzogen, damit die Kinder ihre Füße während des Unterrichts nicht in den Sandboden halten mussten, in denen Sandflöhe lauerten. Die Insekten legten ihre Eier unter der Haut ab, was zu Infektionen führte, die in Äthiopien aufgrund mangelnder medizinischer Versorgung tödlich enden können.

Regelmäßig musste dieses Provisorium von den Schülern selbst erneuert werden, wie der Schüler Bokona Bedane berichtet: „Danach haben wir uns oft sehr müde gefühlt.“ Dem Unterricht zu folgen, war für die Schülerinnen und Schüler unter den katastrophalen Bedingungen nicht leicht, zumal einige einen bis zu zweistündigen Schulweg barfuß zurücklegen. Die alten Hütten neben der neuen Anlage sind stumme Zeugen dieser Zeit, die Schüler wie Bokona nun hinter sich lassen können.

Er besucht die sechste Klasse der Higher Primary School und hat große Pläne. Sprachen wie Englisch, Amharisch und Oromifa sind seine Lieblingsfächer. Er möchte Journalist werden und in Addis Abeba arbeiten. Ein weiter Weg für die junge Generation auf dem Land, aber dank der positiven Entwicklungen bieten sich den Jungen und Mädchen neue Chancen. „Früher mussten wir früh kommen, um einen Platz in der Schulbank zu bekommen. Wer spät kam, musste auf dem Boden sitzen“, berichtet Bokona. Völlig überfüllte Klassenräume waren die Folge. Bis zu sechs Schüler zwängten sich auf eine Bank.

Wie sich die Situation nun verbessert hat, ist für die Menschen von Kelecha Jibat immer noch unfassbar. Die Anzahl der Klassenräume wurde verdoppelt, die Schülerinnen und Schüler teilen sich nur noch zu zweit eine Bank und einen Tisch. Die Böden sind aus Beton, Sandflöhe sind keine Gefahr mehr. Die Zahl der Toiletten und die hygienischen Bedingungen wurden enorm verbessert. Es staubt nicht mehr in den Klassenräumen. Durch die Fenster dringt viel mehr Licht in die Räume als früher. Die Tafeln sind größer und stabiler. Die massiven Gebäude sind so gebaut, dass sie jahrzehntelang standhaft bleiben. „Heute ist der schönste Tag in meinem Leben“, schwärmt die Lehrerin Misgane Gidisa (31), die seit Jahren in Kelecha Jibat unterrichtet: „Ich habe in meinem Leben noch nie so eine Schule gesehen. Ich war noch nie so glücklich.“

Auch der frühere Rektor der Schule, der bei MfM für Unterstützung geworben hatte, ist heilfroh, dass die neue Schule realisiert werden konnte. Zekios Dida ist mittlerweile zu einer anderen Schule abberufen worden, ist aber trotzdem zur Einweihung gekommen. „Ich war sehr traurig, ich hätte es gerne hier zu Ende gebracht“, sagt er rückblickend. „Aber heute bin ich sehr glücklich. Es ist schwer, das Glück in Worte zu fassen.“ Zekios‘ Nachfolger ist Tolesa Kebebe, er ist seit zwei Jahren Schuldirektor. Von den neuen Möglichkeiten ist er begeistert, er möchte etwas daraus machen. Bisher werden Schülerinnen und Schüler in Kelecha Jibat bis zur 8. Klasse unterrichtet. Tolesa möchte den Unterricht bis zur 10. Klasse erweitern, damit die Kinder und Jugendlichen länger in ihrem Heimatort ausgebildet werden, nicht so weite Wege zur nächsten weiterführenden Schule zurücklegen müssen oder deshalb die Schule sogar frühzeitig abbrechen.

Auch die Trinkwasserversorgung auf dem Schulgelände will er verbessern, sagt Tolesa Kebebe. Der Bau eines versiegelten Brunnens sei bereits im Gange. Um an das saubere Grundwasser zu kommen und eine gefilterte Anlage zu errichten, müssen die Menschen in der Region mühsam bis zu 20 Meter tief graben – ohne Bagger oder andere technische Hilfen, mit Schüppe, Zugseil und Eimer. Aber auch diese Anstrengungen traut man den Menschen in Kelecha Jibat zu. Denn sie nehmen ihr Glück selbst in die Hand – und das generationenübergreifend. In einem einstudierten Theaterstück für die Eröffnung – halb Komödie, halb reales Drama – führen die Schüler den Eltern vor Augen, dass sie ihren Kindern schaden und bessere Perspektiven vorenthalten, wenn sie ihren Nachwuchs nicht zur Schule schicken. Am Ende der Feier ergreifen die drei Dorfältesten das Mikrofon. Hinter ihnen stehen mehr als 1300 Schülerinnen und Schüler im Halbkreis mit den 26 Lehrerinnen und Lehrern, vor ihnen sitzen die Dorfbewohner, unter ihnen viele Eltern. Die drei Männer danken „Sportler gegen Hunger“. Sie wünschen der Schule, dass sie noch lange erhalten bleibe und vielen eine bessere Zukunft ermögliche, als ihnen selbst vergönnt war.

Es sind Worte, mit lauter Stimme entschlossen vorgetragen, die zeigen, wie ernst es den Menschen in Kelecha Jibat mit ihrer Schule und der Ausbildung ihrer Kinder ist. Deshalb sind alle gekommen. Alle wollen einen Tag erleben, den sie niemals vergessen werden. Einen Tag, der auch immer einen festen Platz in der Geschichte von „Sportler gegen Hunger“ haben wird.

Bild: Ein Bild, das man nicht vergisst: Die Wagen von „Menschen für Menschen“ zwängen sich durch das Spalier von Schülern, Eltern und Lehrern. Eine Ehre, die allen SgH-Unterstützern in Deutschland gilt. Foto: Kläne