Schulbau Start

„Wir haben so eine Schule noch nie gesehen“

Lehrerin Misgane Gidisa und Mutter Desi Boku freuen sich über den Neubau der SgH-Schule in Kelecha Jibat

Von Volker Kläne

Kelecha Jibat. November 2014 in Kelecha Jibat: Schüler sitzen eng an eng nebeneinander in den Bänken. Der Klassenraum ist völlig überfüllt. Und dunkel. Durch die kleinen Fenster in den Wänden aus Holz und Lehm dringt kaum Licht hinein. Die Luft ist stickig. Irgendwann wird die gesamte Hütte zusammenbrechen, weil Termiten sie regelrecht zerfressen. Deshalb muss sie geflickt werden; eine Wellblechplatte deckt ein Loch in der Wand nur notdürftig ab. Während die Mädchen und Jungen dem Unterricht folgen, müssen sie ihre Füße in den Sandboden halten. Vor ihnen steht Misgane Gidisa, 28. Die Lehrerin erklärt und gestikuliert, sie bindet die Schüler mit ein, lässt sie an der Tafel rechnen. Sie hat eine motivierende Art zu unterrichten. Aber die katastrophalen Bedingungen in der Higher Primary School von Kelecha Jibat in Äthiopien machen ihren Job schwierig.

Drei Jahre sind seither vergangen, und nahezu alles hat sich zum Besseren gewendet. Am 28. November 2017, am Tag der Einweihung der neuen Schule in Kelecha Jibat, sitzt Misgane Gidisa an einem Tisch in den neu gebauten, komfortablen Klassenräumen. „Heute ist der schönste Tag in meinem Leben“, schwärmt die heute 31 Jahre alte Lehrerin: „Ich habe in meinem Leben noch nie so eine Schule gesehen. Ich war noch nie so glücklich.“

Mit Spenden der OV/KSB-Aktion „Sportler gegen Hunger“ hat die Stiftung „Menschen für Menschen“ (MfM) in Kelecha Jibat, einem Dorf in der Projektregion Dano, vier neue Gebäude mit jeweils vier Klassenzimmern errichtet. Damit wurde die Anzahl der Klassenräume von acht auf 16 verdoppelt. Deshalb unterrichte sie nur noch bis zu 50 Schüler gleichzeitig und nicht 80 und mehr, berichtet Misgane Gidisa. Jetzt teilen sich die Schülerinnen und Schüler lediglich zu zweit eine Bank und einen Tisch – und nicht zu sechst, wie es früher oft vorkam. „Viele haben auch auf dem Boden gesessen“, sagt Misgane. Diese Zeiten sind vorbei. Die 31-Jährige schwärmt von den „sehr komfortablen“ Bedingungen, die auch gesünder für die Schüler seien. Die Luft ist besser. Es staubt nicht mehr in den Klassenzimmern, weil die Böden aus Beton sind. Und durch die vielen Fenster dringt wesentlich mehr Licht hinein als in die alten Räume. Dadurch fällt auch das Unterrichten leichter. Misgane freut sich besonders über die neuen, größeren Tafeln in den Klassenzimmern.

Sie ist eine von 26 Lehrerinnen und Lehrern an der Higher Primary School. Die acht Frauen und 18 Männer unterrichten aktuell 1332 Kinder von Klasse eins bis acht. Einer der Schüler ist Bokona Bedane: Bereits vor drei Jahren, beim ersten SgH-Besuch in Kelecha Jibat, berichtete er von seiner Schullaufbahn. Damals war er 13 und besuchte erst die dritte Klasse. Denn Bokona kam erst mit acht Jahren zur Schule. Seine Schulzeit musste er zweimal unterbrechen, weil seine Eltern ihn bei der Feldarbeit brauchten. Wie die meisten Menschen in Kelecha Jibat lebt auch Bokonas Familie von Viehzucht und Ackerbau. Vor und nach der Schule muss er das Vieh hüten und Feuerholz sammeln. Lieber geht aber er in die Schule.

Der Teenager besucht die sechste Klasse und träumt davon, Journalist zu werden, wie er sagt. Sprachen wie Englisch, Amharisch und Oromifa seien seine Lieblingsfächer. Auch Mathe, Geographie oder Staatsbürgerkunde stehen auf dem Stundenplan. Bokona ist froh, dass sich die Lernbedingungen verbessert haben. „Früher mussten wir früh kommen, um einen Platz in der Schulbank zu bekommen. Wer spät kam, musste auf dem Boden sitzen“, sagt er. Immerhin: Bokonas Zuhause liegt nur einen zehnminütigen Fußmarsch von der Schule entfernt. Andere Mitschüler müssten bis zu anderthalb Stunden zur Schule laufen, sagt er.

In den alten Klassenzimmern hätten er und die anderen Kinder den Fußboden häufig mit einer sich verhärtenden Mischung aus Kuhdung, Matsch und Asche überziehen müssen. So stehen ihre Füße während des Unterrichts wenigstens nicht auf dem Sandboden, in dem Sandflöhe lauerten. Die Insekten legten ihre Eier unter der Haut der Füße ab, was zu Infektionen führte, die aufgrund mangelnder medizinischer Versorgung tödlich enden können.

Die Dorfgemeinschaft von Kelecha Jibat hätte ihren Kindern gerne schon früher bessere Bedingungen ermöglicht. Seit der Gründung im Jahr 1981 haben sie die Higher Primary School jahrzehntelang mit dürftigen Mitteln am Leben gehalten. Auch Desi Boku hat sich dafür eingesetzt. Beim SgH-Besuch 2014 berichtete sie, sie habe so viel Geld gezahlt, wie sie könne, um den Bau neuer Klassenräume zu ermöglichen. Als Mitglied einer Baugemeinschaft habe sie auch andere Einwohner überzeugt zu spenden. Ein Klassentrakt befand sich damals in Bau. „Wir profitieren doch alle von der Schule. Unsere Kinder werden ausgebildet und können höhere Positionen erreichen“, sagte Desi Boku vor drei Jahren, während sie ihren jüngsten Sohn im Arm hielt und stillte. Die Hilfe durch MfM und SgH hielt sie für dringend erforderlich, weil das Budget der Schule hinten und vorne nicht ausreichte.

2017 ist ihr Wunsch in Erfüllung gegangen. „Ich bin so glücklich. Ich möchte mich bedanken“, sagt sie am Tag der Schuleinweihung. Ihr Sohn kommt bald zur Schule und kann direkt in den neuen Zimmern lernen. „Wir Eltern haben diese Chance nicht bekommen“, sagt Desi Boku. Sie hat die Schule nur bis zur dritten Klasse, ihr Mann bis zur sechsten Klasse besucht. Ihre Kinder sollen es besser haben. „Wenn man lernt, kann man alles werden, was man will“, sagt Desi Boku. Einige ihrer Kinder haben einen Abschluss nach der zehnten Klasse bereits in der Tasche. Zwei Töchter gehen noch in Kelecha Jibat zur Schule, der Sohn wird folgen.

Auch die anderen Eltern aus dem Dorf schickten die Kinder zur Schule, sagt Desi Boku. Alle seien begeistert von dem Neubau. „Wir haben so eine Schule noch nie gesehen. Jeder spricht darüber. Alle sind gekommen“, erklärt sie auf der Einweihungsfeier. Tausende Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, Eltern und Großeltern sind zur Zeremonie gekommen.

Auch Misgane Gidisa ist mittendrin, als die Schulgemeinschaft mit den Gästen von SgH und MfM feiert. „Es ist auch für mich ein historischer Tag“, sagt sie. Für die Lehrerin hat sich vieles zum Besseren verändert. Das gilt auch für das private Glück. Vor drei Jahren lebte sie noch allein in einer Unterkunft am Rand der Schule. Ihr Mann unterrichtete als Lehrer in einem anderen Dorf. Jeden Freitag musste er einen dreistündigen Fußmarsch zurücklegen, um sie zu sehen, und den selben Weg am Sonntag wieder zurückgehen. Er werde irgendwann zu ihrer Schule wechseln, sagte Misgane damals. Heute unterrichten beide gemeinsam an der Higher Primary School von Kelecha Jibat.

Info: Volker Kläne, heute Pressesprecher der Stadt Vechta, betreute als langjähriger OV-Reporter auch die Aktion „Sportler gegen Hunger“, besuchte 2014 den Ort Kelecha Jibat und war Gast bei der Schuleinweihung 2017.

Bild: Die neue Schule 2017: Misgane Gidisa schwärmt im Interview mit Volker Kläne von der schönsten Schule, die sie je gesehen hat. Hinter den Fenstern sammeln sich die neugierigen Kinder. Foto: Neuhaus

Ein Video zum Thema
gibt es unter 
www.ov-online.de/youtube