Schulbau Start

Gigantische Summen und unglaubliche Treue

Von Franz-Josef Schlömer

Vechta. Im Januar 2001 mischte sich Karlheinz Böhm, der Gründer der Stiftung „Menschen für Menschen“ (MfM), ein Wochenende lang unter die „Sportler gegen Hunger“ im Kreis Vechta.

Exakt 15 Jahre später besuchte Dr. Peter Schaumberger, der neue Vorstand der Böhm-Stiftung, im Januar 2016 ein Wochenende lang einige Sportveranstaltungen. Nach Abschluss der 32. OV/KSB-Aktion, die mit einem Erlös von 220 000 Euro endete, blickte Dr. Peter Schaumberger im OV-Interview zurück – und nach vorn.

Herr Schaumberger, ein Wochenende bei „Sportler gegen Hunger“: Was blieb hängen?
Auf jeden Fall die Freude der Menschen, auch die Gespräche und das Interesse, das gemeinsame Feiern war auch ganz toll. Bewegend war in einer Halle der Moment mit den 12,50 Euro, mit denen man ein Menschenleben in Äthiopien einen Monat lang retten kann. Da habe ich gespürt, dass man die Menschen in Vechta erreicht hat. Die Bereitschaft dort, etwas abzugeben und zu teilen, das war berührend für mich.

Sind Sie mit den Sportlern, den Menschen hier warm geworden?
Man kannte sich ja nicht, aber überall gab es eine herzliche Aufnahme, eine Freundlichkeit. Alles sehr offen und persönlich. Ein sehr schönes, tolles Wochenende! Alle sind auf einen zugekommen, bei den Gesprächen habe ich großes Interesse erlebt.

SgH endete gerade mit dem Erlös von 220 000 Euro, also über 3,8 Millionen in 32 Jahren . . .
Die Summen sind natürlich gigantisch. Vor allem aber sind die Kontinuität und die Treue einfach beeindruckend. 32 Jahre, so lange, einfach unglaublich. Und überall herrschte eine große Identifikation mit der Aktion.

In Kelecha Jibat entsteht die SgH-Schule. Wie wird sie aussehen?
Sie wird ja nach unserem Standard gebaut. Vier Gebäude mit je vier Klassen, ein Verwaltungsgebäude und ein Sanitärgebäude nach Geschlechtern getrennt. Das hört sich für uns selbstverständlich an, doch dort kennen sie das nicht. Wo wir arbeiten, ist praktisch plattes Land, die Ausstattung ist mittelalterlich.

Was ist nicht selbstverständlich?
Etwa hygienische Grundregeln, die wir einfordern. Ordentliche Toiletten, sauberes Wasser, auch um Infektionskrankheiten vorzubeugen. Es geht ja schnell: Man hat einen Erreger am Finger, wischt sich durchs Auge . . .

Es gibt Fotos von der jetzigen Schule, wo Mädchen den Klassenboden mit Kuhmist „desinfizieren“ . . .
Gegen Sandflöhe. Die Kinder laufen barfüßig rum, im Boden stecken Sandflöhe, schnell bilden sich Entzündungen. Unsere neuen Schulen haben Betonböden, ein sauberer Estrich. Das ist nicht luxuriös, aber Hauptsache, es setzen sich keine Erreger fest.

Wie läuft der Bau ab?
Den führen äthiopische Firmen durch. Wir haben ja schon 400 Schulen gebaut, da wissen wir bis ins Detail, was gebraucht wird, was gemacht werden muss. Das Auswahlverfahren verläuft sehr transparent und anonym; der Preis spielt eine Rolle, aber auch die qualitative Bewertung.

. . . und die Arbeiter?
Es werden auch Tagelöhner beschäftigt. Wir legen Wert darauf, dass Menschen aus der Region eingebunden sind, wir schreiben auch einen Mindestlohn vor, der natürlich nicht mit unserem hier zu vergleichen ist.
Eine Schule löst nicht gleich alle Probleme im Projektgebiet.
Wir dürfen die Schulen nicht isoliert sehen. Bei uns herrscht Schulpflicht. Wenn ein Kind nicht zur Schule geht, kommt die Polizei. In Äthiopien ist es ein Luxus, ein Privileg, in die Schule gehen zu können. Die Kinder müssen nämlich zu Hause mitarbeiten. Sie müssen in ihren 5- oder 20-Liter-Behältern sauberes Wasser von oft weit entfernten Stellen holen. Oder Brennholz. Je abgeholzter die Flächen, desto weiter der Weg. Es hängt alles eng miteinander zusammen. Daher betreiben wir intensive Aufforstung, das verhindert die Bodenerosion, speichert mehr Wasser im Boden und der Weg zum Holzholen ist nicht mehr so weit.

Muss es immer gleich was GroĂźes sein?
Nein, auch kleine Ideen können viel bewirken. Die Frauen backen etwa am offenen Feuer ihr Fladenbrot, das braucht viel Holz, das sorgt für Rauch und Qualm in den Hütten, Husten und Krankheiten. Wir haben einen kleinen Ofen entwickelt – aus drei oder vier rundlichen Zementblöcken, die von Frauen in kleinen Manufakturen hergestellt werden. Der Rauch zieht nach außen ab, der Wirkungsgrad des Feuers ist höher, es muss weniger Holz hergetragen werden, die Kinder haben mehr Zeit für die Schule.

Die Schule steht – und dann?
Wir würden keine Schule bauen, wenn es keinen Vertrag gibt, dass die Schule auch betrieben wird. Es war ja der Grundsatz von Karlheinz Böhm: Wir liefern die Grundausstattung, die Ausbildung betreiben wir nicht, dafür ist die Bevölkerung selbst verantwortlich.
Das funktioniert auch?
In den zehn oder 17 Jahren, in denen wir in den Projektgebieten arbeiten, kontrollieren wir ja alles aus direkter Beobachtung. Für Gebiete, aus denen wir uns zurückgezogen haben, beauftragen wir externe Unternehmen, um ein objektives Ergebnis zu haben, wie nachhaltig unsere Arbeit war. Von dem in der Entwicklungshilfe tätigen schwäbischen Beratungsunternehmen Fakt haben wir gerade ein sehr, sehr positives Feedback aus einem Gebiet erhalten, das wir vor sechs Jahren verlassen haben.

Eigenverantwortung: Wie spielte sich das dort ab?
Die Bewohner hatten richtige Komitees eingerichtet, die sich um die Pflege der Gebäude, Einrichtungen oder Maschinen kümmern. In den kleinen Vorständen sitzen schon Menschen der nächsten Generation, für sie ist es quasi ein Ehrenamt.

In welcher Größenordnung befindet sich der Mitarbeiterstab?
In Äthiopien haben wir rund 750 Mitarbeiter, davon sind nur vier nicht Äthiopier. Das ist ein Teil der Strategie von Karlheinz Böhm: nicht Helfer aus Europa, sondern Einheimische vor Ort. Das Geld bleibt da, die Äthiopier kennen die Situation und Mentalität. Sie sind auch günstiger als teure europäische Kräfte, obwohl die Äthiopier einen ordentlichen Lohn bekommen.

Und in Deutschland?
In München arbeiten 25 Menschen, hauptsächlich in der Öffentlichkeitsarbeit, der Spendenbearbeitung und der Buchführung. Unser Buchhaltungssystem wird gerade so umgestellt, dass wir von München aus alles elek᠆tronisch für Äthiopien erfassen, was dort bislang auf Papier lief. Welche Schraube geht in welches Projekt für welches Auto.

Transparenz ist fĂĽr MfM ein entscheidendes Kriterium?
Seit es uns gibt, haben wir immer das Deutsche Spendensiegel erhalten, auch bei der Sonderprüfung in der Krise. Beim letzten Mal gab es erstmals keine Anmerkung, was wir vielleicht besser machen können. Beim Finanztest der Stiftung Warentest haben wir besonders gut abgeschnitten, wir gehörten zu den drei besten Organisationen.

Gilt das auch fĂĽr die Schulen?
Der TĂśV Rheinland hat 2013 unsere Schulen ĂĽberprĂĽft. NatĂĽrlich kann man billiger bauen, aber wir wollen ja nachhaltig bauen. Unsere Schulen sollen 30 Jahre halten. FĂĽr den Preis, die Qualität und Haltbarkeit hat uns der TĂśV ein ’sehr gut‘ bescheinigt. Wir sind wahrscheinlich die best-ĂĽberprĂĽfte Organisation. Wenn ich dafĂĽr immer einen Orden kriege, wĂĽrde ich wie ein General gebĂĽckt laufen. Wir lassen, auf gut Deutsch gesagt, mehrfach im Jahr die Hosen runter.

Sie sind seit 2014 Vorstandsvorsitzender: Ihr Ziel, ihr Wunsch?
Ich möchte, dass wir uns als wĂĽrdig erweisen, das einmalige Lebenswerk von Karlheinz Böhm in die Zukunft zu bringen. Ein vergleichbares Lebenswerk gibt es nicht. Karlheinz Böhm war eine einmalige Persönlichkeit, ein charismatischer Mensch, der ĂĽberzeugen konnte und inspiriert hat. Um seinen Wunsch, dass die Ă„thiopier sagen, ‚Lieber Karl, wir brauchen Deine Hilfe nicht mehr‘, wahr werden zu lassen, bedarf es vieler Jahre und Jahrzehnte, wenn er sich ĂĽberhaupt erfĂĽllen lässt. Wir werden sehr hart daran arbeiten, um das Vertrauen der Spender zu erfĂĽllen und weiteres Vertrauen zu gewinnen.

Aktuell herrscht im zentralen Afrika auch aufgrund des Klimawandels wieder eine Dürrekatastrophe. Seit März 2015 fielen teilweise zwei Regenzeiten aus.
Allein in Äthiopien sind seit Jahresanfang über zehn Millionen Menschen akut vom Hunger bedroht. Das sind nicht unsere Zahlen, sondern offizielle Schätzungen der UN. Und die Zahl wird sich erhöhen, denn die seit fast einem Jahr währende Dürre hält an. Die Katastrophe kommt aber erst jetzt in den Medien an, das hängt auch mit den Flüchtlingsdramen zusammen.

Wie sieht ihre Nothilfe aus?
Ganz einfach: Eine Nahrungsration für eine Person und einen Monat besteht nur aus Getreide, Hülsenfrüchten und 3/4 Liter Speiseöl – das kostet 12,50 Euro, das ist nur zum Überleben, über Fleisch reden wir gar nicht, das ist notgedrungen ganz vegan.

In der Praxis heiĂźt das?
Die Not herrscht ja vor allem in den ländlichen, entlegenen Gebieten. Wir machen das alles mit unseren eigenen Mitarbeitern, setzen unsere 30 Jahre alten Lkw ein. Wir brauchen keine Speditionen, es gibt auch, was man weltweit oft hört, dank unserer Mitarbeiter keinen Schwund unterwegs an klebrigen Händen.

Drohen neue Flüchtlingsströme?
Unabhängig von politischen Dimensionen flüchten Menschen doch aus existenziellen Zwängen. Die gehen ja nicht zum Spaß weg, sie wollen ja bleiben. Wir müssen ihnen Perspektiven bieten und ein würdevolles Leben in ihrer Heimat ermöglichen. Aus Äthiopien gibt es bei uns nur wenige Flüchtlinge. Vielleicht auch, weil die Böhm-Stiftung vielen Millionen eine Perspektive für die Zukunft bietet. Es ist auch wirtschaftlich vernünftiger, Katastrophen langfristig durch Prävention abzumildern als Flüchtlinge in Deutschland zu versorgen.

12,50 Euro zum Überleben: Muss auch SgH zu den Anfängen 1984/ 85 zurück, also zum Kampf gegen den realen Hungertod?
Nothilfe machen wir ja in der Not, das ist unsere Pflicht. Vordringliches Ziel muss es bleiben, langfristig Perspektiven zu bieten. Aufforstung, Bewässerung, Berufsausbildung, Schulen: Es bleiben immense Aufgaben.

Bild: Der Bau der ersten SgH-Schule schreitet voran: Dieses Bild traf Ende Januar aus dem äthiopischen Kelecha Jibat ein. Foto: MfM